Der Weg zum Single-Handicap
Nahezu jeder Sportler setzt sich Ziele, die er im Laufe der Jahre einmal erreichen möchte. Was für den Läufer die Bewältigung eines Marathons oder den Triathleten die erfolgreiche Teilnahme an einem Ironman war für mich als Golfspieler das Erreichen des Single-Handicaps. Viele Sportler werden die gesteckten Ziele nie erreichen, andere benötigen je nach Talent und Training Monate oder sogar Jahre. |
So auch bei mir – der 20-jährige Weg vom Golfeinsteiger 1994 bis zum Single-Handicaper war stellenweise steinig und mühevoll. Auf diesem Weg gab es verschiedene Phasen, die mehr oder weniger lange andauern. Am besten sind die Augenblicke, an denen nahezu alles gelingt und man sich dem Ziel in großen Schritten nähert. Dann wiederum verzweifelt man in den Zeiten, die jeder Golfer kennt (oder hoffentlich nie kennenlernt): die Phasen des Slice – meist zu Beginn der „Golfkarriere“, gehookte Schläge, zu fette oder getopte Schläge, Probleme mit dem Spiel aus dem Bunker, Ärger rund um das Grün mit Chip und Putt oder gar den Shank bzw. Socket – und als "Höchststrafe" die Kombination aus mehreren der oben beschriebenen Problemen. Manchmal verschwinden die Dinge so plötzlich, wie sie kommen, aber meistens beschäftigen diese einen mehrere Wochen oder sogar ganze Spielzeiten. Alle beschriebenen Themen sind mir (leider) bestens bekannt und ich kann über meine Leiden viele Geschichten erzählen.
Das Schöne am sportlichen Golfspiel aber sind die Etappenziele, die das Handicap-System mit sich bringt. Man startet nach einer „Grundausbildung“ durch den Golflehrer mit der Platzreife (sozusagen dem Führerschein für den Golfplatz). Und da man sowohl Autofahren als auch Golfspielen erst durch vielfältige praktische Erfahrung in allen Situationen lernt, geht es dann auf den Platz oder die Übungseinrichtungen wie Range, Übungsgrün oder den Kurzspielbereich. Auch die Erfahrung auf anderen Plätzen mit dessen topografischen Besonderheiten schult das eigene Golfspiel. Weiter ging es dann mit der ersten Erspielung eines offiziellen Handicaps (damals 36 - heute beginnt das Handicap-System schon bei 54) – ohne CBA/CSA im Zählspiel über 18 Loch.
Mit den ersten Erfolgserlebnissen, vorderen Platzierungen in den Nettowertungen kam dann die Motivation und die ersten Handicap-Grenzen purzelten schnell. Handicap 30, dann 20 und schließlich weiter Richtung 15. Dann kam bei mir die erste Phase der Selbstzweifel: die Unterspielungen wurden seltener oder blieben aus, gute Runden scheiterten auf den letzten Bahnen (in Golferkreisen die bekannte „Angst vom Unterspielen“) und Freunde und Bekannte zischten mit ihrem Handicap an einem vorbei.
Was tun? Ich investierte in neues Material und Trainerstunden, wobei der unmittelbare Erfolg von beiden Änderungen den mehr oder weniger großen Impact hatte. Die Erkenntnis „ein gerade Schlag mit einem neuen Schläge funktioniert genau so lang, bis der Schläge bezahlt ist“ bis hin zur Erfahrung, dass vielfältige theoretische Kenntnisse rund um den Golfschwung noch lange kein Garant für die praktische Umsetzung sind. Auch der wiederholte Versuch „Selbstheilung über Nacht“ oder „Verbannung der bösen Schläger in den Keller“ führte nicht zu den gewünschten Ergebnissen. So trat ich mehrere Jahre auf der Stelle – immer mal wieder mit einem Erfolgserlebnis, aber letztendlich ohne weitreichenden Fortschritt in Bezug auf das Ziel „Single-Handicap“.
Revolutionierend sollte es dann im Jahr 2006 weitergehen – der Deutsche Golfverband (DGV) führte ein neues Handicap-System ein. Der Anfangseintrag in meiner persönlichen Handicap-Verwaltung führte sogleich zu einem neuen Ziel – vor der „Einstelligkeit“ kommt die „Einsilbigkeit“ (also Handicap 12 oder besser). Des Weiteren wurde die Handicap-Relevanz ab 2006 nur noch von den erspielten Stableford-Punkten abhängig gemacht. Ab 2007 kam dann noch CSA (Computer Stabelford Adjustment) hinzu, welches hin und wieder für einen kleinen Bonus bei der Anzahl der erspielten Punkte sorgte.
Aber – mein Handicap variierte weiterhin zwischen 15 und 13 und über die Jahre festigte sich die Erkenntnis, dass ich am Jahresbeginn meistens überspiele und nach dem Sommerurlaub am Saisonende dann mein Handicap meistens wieder verbessern konnte. Die These „viel Spielen = besser Spielen“ trifft insofern auch auf mich zu; allen versuchten korrigierenden Maßnahmen (z.B. verstärkt Trainerstunden über den Winter oder zum Jahresbeginn) zum Trotz. Darüber hinaus investierte ich Zeit in Regelkunde (diese können dem Golfspieler in bestimmten Situationen auch durchaus helfen und vor Strafschlägen bewahren) und unterstützte meine Frau bei ihrer C-Trainer-Ausbildung (was sich auch zu meinem Vorteil herausstellen sollte).
Kurz vor dem Übergang von CSA zu CBA (Computer Buffer Adjustment) Ende 2011 sollte dann das Ziel „Einsilbigkeit“ mit einem Endspurt am Jahresende fallen. Mit Handicap 11,0 ging es dann ins Jahr 2012 – nur noch eine Unterspielung von 6 Punkten vor dem großen Ziel.
Doch leider ist das Handicap-System keine Einbahnstrasse: es geht zwar schnell in die positive Richtung, doch leider bei meinem Golfspiel auch langsam und stetig immer mal wieder in die andere Richtung. Allen Gegenmaßnahmen zum Trotz (Intensivierung des Trainings, Materialpflege und –optimierung, Bücher, Apps, Sky-Abo, …) ging es zwei Jahre mit dem Handicap hin und her. Erklärend muss ich erwähnen, dass ich die in den letzten Jahren vermehrt angebotenen 9-Loch-Wettspiele vermied. Meine persönliche Rundenanalyse bestätigte meine Vermutung, dass ich auf den ersten neun Löchern häufiger mehr Punkte hatte, die schon zu einer Unterspielung gereicht hätten. Traditionell wollte ich mir die Einstelligkeit aber lieber in Wettspielen über die volle Lochzahl erarbeiten…
Und dann kam der große Moment – Clubmeisterschaften 2014 – Runde 2 – Tee 10…
Start um 8:30 Uhr bei 13 Grad und leichtem Nebel: 2x Par, Bogey, 4x Par, Bogey, Birdie = 37 Schläge (ein Schlag über Par). Weiter ging es an Tee 1: Bogey, 2x Par, Bogey, 2x Par, dann das erste Double-Bogey. Schneller Überschlag der Punkte – Unterspielung um einen Punkt – ein weiterer Punkt musste her. Die Nerven lagen blank – Abschlag verzogen, „Spiegelei“ im Bunker – wieder ein Double-Bogey, aber leider keinen Punkt. Dann zum letzten Loch: Ball vom Tee leicht rechts in die Bäume, Recovery-Schlag bleibt im Semirough hängen, Annäherung zu kurz, Chip zu lang = noch zwei Putts auf dem hängenden Grün um noch mindestens einen Punkt zu machen. Gesagt, gezittert, getan – dann noch einmal schnell die Stableford-Punkte nachgerechnet.
Nach dem neuen Handicap-System des DGV war die Unterspielung um zwei Schläge und das neue Single-Handicap aber noch nicht sicher. Der CBA durfte nämlich nicht positiv sein, was aufgrund der guten Ergebnisse der Mitspieler für Zweifel in mir sorgte. Dann aber kam die Entwarnung aus dem Büro: „Der CBA ist Null!“
Damit steht es amtlich fest – ich habe jetzt ein Single-Handicap…